Gelungener Saisonstart
Grandiosen Applaus vom Premierenpublikum bekam Christian Spuck für seine Uraufführung BOVARY, mit der er seine erste Saison mit dem Staatsballett Berlin am 20. Oktober 2023 startete.

Nach dem Roman Madame Bovary von Gustave Flaubert stellt der neue Ballettintendant des Staatsballetts Berlin die Gefühlswelt der leidenschaftlichen, egozentrischen Emma Bovary in den Mittelpunkt. Die gelangweilte Landarztgattin sehnt sich nach romantischer Liebe und luxuriösem Leben, wie sie es aus Kitschromanen kennt. Als sie aus ihrer bürgerlichen Ehe ausbricht, in Affären und Konsum flüchtet, kommt es zum Skandal und zur Tragödie.

Choreograf Christian Spuck sieht darin Parallelen zur heutigen Zeit: „Der Wunsch, anders sein zu wollen, als man ist, und sich in der Folge über Konsum diese Wunschwelten zu erschaffen – das finde ich wichtig zu erzählen.“ (Text: staatsballett-berlin.de)

© Serghei Gherciu
Das ist harter Stoff, den der deutsche Choreograf mit Hilfe von Originaltexten, Musik, Videoaufzeichnungen und einer Livekamera auf die Bühne bringt. Dabei setzt Christian Spuck auf die Solotänzerin Weronika Frodyma, die seit 2009 am Staatsballett in Berlin engagiert ist. Sie interpretiert den Konflikt mit sich selbst, die Trostlosigkeit und Kälte ihres Lebens äusserst gefühlvoll wirklich herausragend. Diese Besetzung war mutig. Wie Ballettfans wissen, kann das Staatsballett auf international gefeierte Primaballerinen wie Polina Semionova (Zweitbesetzung), Iana Salenko oder Ksenia Ovsyanick zurückgreifen. Und Spucks Rechnung geht auf.
Auch Alexei Orlenco verkörpert den liebenden Ehemann Charles gekonnt. Er akzeptiert die Eskapaden seiner jungen Frau, auch als sie ihn mit dem jugendlichen Léon (Alexandre Cagnat) und dem Gutsbesitzer Rodolphe (David Soares) betrügt. Spuck hat es sich nicht einfach gemacht, denn er hätte auch die Hauptrollen unter seinen 15 mitgebrachten Zürcher Tänzer auswählen können. Er setzt auf die vorhandenen Tänzer des Staatsballetts.

© Serghei Gherciu
Doch wie integriert der ehemalige Zürcher Ballettdirektor sein grosses Ensemble mit 79 Tänzerinnen und Tänzer in dieses Stück? Spuck choreografiert verschiedenste Gruppen- und Paartänze, die sowohl die Geschichte als auch die Gefühlswelt der Bovary tänzerisch erzählen. Unglaublich feinfühlig tanzt das neu formierte Staatsballett die klassischen und modernen Parts. Grosses Kompliment an die ganze Kompanie, die nach nur zwei Monaten Proben hervorragend zusammengewachsen ist und meiner Meinung nach technisch und darstellerisch auf höchstem Niveau tanzt.

Kostümbildnerin Emma Ryott schuf einen wunderschönen Mix aus historisch inspirierten und modernen Kostümen. Das morbide Bühnenbild von Rufus Didwiszus unterstreicht die Trostlosigkeit und Ausweglosigkeit.
Der Schweizer Konzertpianist Adrian Oetiker und das Orchester der Deutschen Oper Berlin spielen u.a. Auszüge aus Klavierkonzerten von Camille Saint-Saëns, Thierry Pécous L’Oiseau Innumérable, György Ligetis Apparitions unter der musikalischen Leitung von Jonathan Stockhammer.

Mehr Infos und Termine
24. | 27. | 30. | 31. Oktober 2023
18., 19., 21., 22. Januar 2024 in der Deutsche Oper Berlin
https://www.staatsballett-berlin.de/spielplan/stueck-detail/stid/bovary/67.html#a_146

Premierenbesetzung
Choreographie und Inszenierung Christian Spuck
Bühne Rufus Didwiszus
Kostüme Emma Ryott
Licht Martin Gebhardt
Dramaturgie und Libretto Claus Spahn
Video Tieni Burkhalter
Sprecherin Marina Frenk
Musikalische Leitung Jonathan Stockhammer
Klavier Adrian Oetiker
Orchester der Deutschen Oper Berlin
Emma Bovary Weronika Frodyma
Charles Bovary Alexei Orlenco
Léon, Liebhaber Alexandre Cagnat
Rodolphe, Liebhaber David Soares
Félicité, Emmas Dienstmädchen Vivian Assal Koohnavard
Monsieur Homais, Apotheker Matthew Knight
Monsieur Lheureux, Warenhändler Dominik White Slavkovský
Monsieur Guillaumin, Notar Dominic Whitbrook
Monsieur Tuvache, Bürgermeister Wolf Hoeyberghs
Monsieur Hareng, Gerichtsvollzieher Ross Martinson

Streaming auf Arte Concert bis 18.1.
https://www.arte.tv/de/videos/117103-000-A/christian-spuck-bovary/
Beitragsbild Weronika Frodyma in BOVARY by Christian Spuck © Serghei Gherciu

Zunächst: ich war SEHR freudig überrascht, dass eine Ballettaufführung aus Berlin – und dann noch die Premiere! – auf ARTE live übertragen wird. Eine tolle Premiere in doppelter Hinsicht!
Weronika Frodyma war sehr beeindruckend, besonders im 2. Akt. Ihre Darstellung der langsam der Verzweiflung/dem Wahnsinn verfallenden Emma war herzzerreissend. Obwohl ich oft ins Ballett in Berlin gehe, war sie mir bisher nicht besonders aufgefallen – Christian Spuck hat hier eine sehr kluge Entscheidung getroffen. So konnte sie nach 14 Jahren am Staatsballett sehr gut zeigen, wie großartig sie eine Rolle gestalten kann.
ich empfand den 1. Akt als etwas „anstrengend“ anzusehen, denn die Titelrolle hatte kaum etwas zu tun außer zu stehen, zu sitzen und zu schauen. Erst spät erschloss sich mir, warum das so war (Emma’s Langeweile).
Ich werde mir den Stream auf jeden Fall nochmal ansehen, es gab so viele Layer in der Handlung, die ich nur am Rande wahr nahm und auf die ich noch besonders achten möchte. Dafür gibt der Stream natürlich eine super Gelegenheit (ich bin immer noch begeistert darüber).
Am Montag (30.10.23) schaue ich mir die Besetzung mit Polina Semionova an. Der Vergleich wird interessant.
Sabine
LikeLike
Danke für Deine ausführliche Rezension. Auch ich war über Weronika sehr überrascht. Jetzt bin ich sehr gespannt auf Polina. Leider bin ich momentan nicht in Berlin. Es wäre super, wenn Du mir über ihre Vorstellungen schreiben würdest!
LikeLike
das mache ich gern!
LikeGefällt 1 Person
Polina Semionova war ebenfalls beeindruckend. Insbesondere die Pas de Deux mit Martin ten Kortenaar als Rodolphe waren wunderschön. Bei ihr hat Emma Bovary einen leicht aristokratischen Charakter, anders als im Buch, und auch anders als bei der etwas spröden Weronica Frodyma. Polina Semionova hat sicher sehr edles tänzerisches Können, die letzten Szenen der verzweifelten sterbenden Emma haben mich bei W. Frodyma jedoch noch stärker erschüttert.
LikeGefällt 1 Person