Interview mit Nadja Saidakova, Ballettmeisterin beim Staatsballett Berlin
Nach ihrer äusserst erfolgreichen Karriere gibt die Prima Ballerina Nadja Saidakova ihr Wissen als Ballettmeisterin beim Staatsballett Berlin weiter. In unserem Interview erzählt sie über ihre tägliche Arbeit.

Seit Sommer 2017 bist Du Ballettmeisterin beim Staatsballett Berlin, nachdem Du Deine aktive Karriere als Prima Ballerina beendet hast. Viele Ballettliebhaber wissen nicht so genau, was eine Ballettmeisterin eigentlich macht. Beschreibe doch bitte Dein Tätigkeitsfeld und erzähle uns über Deine Tänzerkarriere.
Als Ballettmeisterin coache ist vor allem Tänzerinnen und Tänzer und studiere das Repertoire mit ihnen ein. Jeden Morgen gebe ich ein 1.5-stündiges Training zum Aufwärmen. Danach studiere ich bis zum Abends verschiedenste Ballette mit einzelnen Solisten oder auch Gruppen ein. Da wir momentan Corona bedingt 8 verschiedene Gruppen haben, die über den Tag verteilt individuell proben müssen, haben wir viel Mehrarbeit.
Die meisten Ballette im Repertoire habe ich selbst getanzt. Momentan proben wir für die Wiederaufnahme von Onegin, das ich seit der Premiere 2003 kontinuierlich getanzt habe, das letzte Mal bei meiner Abschiedsvorstellung 2017. Bei diesem Stück fühle ich mich so sicher und brauche für die Einstudierungen keine Aufzeichnungen. Zusätzlich unterstützen Videos die neuen TänzerInnen dabei, sich auf die Rollen vorzubereiten.

Bei allen Cranko-Balletten muss aus urheberrechtlichen Gründen die Originalchoreografie genau eingehalten werden. Das Staatsballett hat Onegin komplett als sogenannte Choreologie aufgeschrieben. Unsere eigene Choreologin achtet auf die exakten Einhaltung der Choreografie und kontrolliert alle Schritte/Bewegungen/Gesten. Beim Live Tanzen schleichen sich immer wieder kleine Abweichungen ein, die nachher korrigiert werden müssen. Bei derartigen Korrekturen mache ich mir meine eigenen Notizen und zeige sie den TänzerInnen.
Ich habe die Arbeit im Studio immer geliebt, auch während meiner aktiven Tänzerkarriere. Der ganzen Entstehungsprozess eines Balletts von Anfang bis zum Ende fasziniert mich. Die Aufführung auf der Bühne ist ein sehr schöner, aber auch sehr kurzer Moment. Im Studio kann ich ohne Nervosität richtig loslegen und an den Stücken richtig arbeiten. Jetzt unterstütze ich die TänzerInnen intensiv ihre Körper richtig zu trainieren. Ich bin glücklich, meine Erfahrungen weitergeben zu können.

Als Balletttänzerin hast Du das Trainingsprogramm Floor Barre nach Boris Kniaseff entdeckt und für Dich genutzt. Seit Jahren bietest Du es für professionelle Tänzerinnnen und Tänzer an, jetzt sogar online. Erkläre uns doch bitte die Methode.
Mein erstes Engagement im Westen war 1991 bei Heinz Spoerli an der Deutschen Oper am Rhein. Alles war neu für mich – der Tagesablauf, das Repertoire sowie die verschiedensten Choreografien von klassisch bis total abstrakt. Ich hatte Muskelkater und wusste nicht, wie ich das alles gleichzeitig mit meinem Körper schaffen sollte. Glücklicherweise hat mir ein Tänzer dieses Trainingsprogramm empfohlen – ein sanftes Aufwärmprogramm, das man täglich eine Stunde ohne Belastung im Sitzen oder Liegen durchführen kann. Gezielt werden einzelnen Muskelpartien wieder in Form gebracht.
Nach 2 Wochen recht qualvoller Eingewöhnung kam der Effekt und somit die Erleuchtung: mein Becken wurde stärker, ich fühlte, dass mein Körper richtig platziert und gerade war, die Schmerzen liessen nach und ich hatte mehr Kontrolle und Stärke im Körper als jemals zuvor. Auch konnte ich schlimmere Verletzungen vermeiden bzw. mich schneller wieder erholen. Sogar nach meinen 2 Babypausen konnte ich schnell wieder auf die Bühne zurückkehren.

Viele Tänzerinnen und Tänzer wollten, motiviert durch meine Erfolge, diese Methode auch erlernen. Gerne habe ich meine Erfahrungen geteilt und gemeinsam mit vielen Kollegen effektiv trainiert.
Jetzt freue mich sehr, dass ich diese Trainingsmethode Boris Kniaseff Floor Barre auch auf der Online-Plattform Worldballetclass (mehr Informationen am Ende des Beitrags) an professionelle TänzerInnen weitergeben darf. Da ich körperlich noch fit bin, kann ich alle Übungen selbst zeigen.
Du wirst das sicher immer wieder gefragt. Aber auch wir wollen wissen, was Deine Lieblingsrolle ist?
Es ist wirklich die Rolle, die ich gerade einstudiere. Ich gehe so tief rein, dass ich diese Person werde. Diese Umwandlung, egal ob modern und klassisch choreografiert, fasziniert mich. Wenn man die Person in sich spürt, braucht man nicht viel erzählen. Es muss eine Tiefe geben und ganz wichtig, es muss mit der Musik zusammen passen. Ich versuche das meinen jungen Tänzerinnen verbal zu erklären und nahezubringen. Klar wird es, wenn wir eine Charakterrolle wie Tatjana aus dem Ballett Onegin vorbereiten, die immer für sich einen Text hat. Denn jeder Bewegung hat eine Bedeutung.
Auch abstrakte Ballett haben einen Charakter. Ich frage mich bei der Vorbereitung „Wer ist dieses Wesen, das ich interpretiere? Welche Energie, welche Atmosphäre hat das Stück? Wie ist der Dialog mit dem Partner? Wie agiert es mit der Musik?“ Dieses Wesen will dem Publikum etwas mitteilen, denn sonst wäre das abstrakte Ballett einfach nur Gymnastik oder Bewegung.

Wenn wir beispielsweise die 32 Schatten bei Bayadere einstudieren, sage ich den TänzerInnen, sie müssen sich spüren wie eine Welle und die Energie gemeinsam aufnehmen. Viele denken, man sieht mich in der hintersten Reihe sowieso nicht, aber das stimmt nicht. Die gemeinsame Bewegung entsteht durch die gemeinsame Energie.

© Fine Art photography by Yan Revazov, Advertising photographer
Ihr hattet Eure letzte Vorstellung, eine Coronafassung von GISELLE, im November 2020. Darf das Staatsballett Berlin bald wieder auf der Bühne auftreten?
Jetzt endlich kommen Lockerungen. Am 5. und 6. Juni konnten wir die LIVE-Gala „From Berlin with Love“ mit reduziertem Programm aufführen, wobei die grösste Gruppe aus 11 Tänzerinnen und Tänzern besteht, die eng zusammen tanzen, sonst nur Pas de Deuxs und eine fünfköpfige Gruppe! Für uns ist es schon normal geworden, dass wir mit Abstand tanzen müssen. Aber wir freuen uns ausserordentlich wieder auf die Bühne zu dürfen. Momentan laufen die Proben für eine neue Kreation von David Dawson, die die Saison im September eröffnet.

Wie verkraftet eine Ballettkompanie physisch und mental diese lange Wartezeit. Wie kannst Du als Ballettmeisterin die Kompanie motivieren und trainieren?
Es war und ist eine schwierige Zeit. Mental vermissen wir alle die Bühne. Trotzdem gibt es auch viele positive Entwicklungen. Nach meinen Beobachtungen sind viele Tänzerinnen und Tänzer jetzt physisch viel stärker als vor Corona geworden. Sie hatten mehr Zeit und konnten entdecken, was sie trainingsmässig mit ihrem Körper machen können. Unglaublich viele unterschiedliche zusätzliche Programme wurden ausprobiert. Jetzt arbeiten viele Tänzerinnen anders und sind dadurch sehr gut in Form. Es gibt viel weniger Verletzungen. Durch die kleineren Trainingsgruppen zu sechst oder acht können wir viel individueller, seriöser und härter trainieren.
Natürlich habe ich jetzt viel mehr Arbeit durch die vielen Gruppen. Meine tägliche Hausaufgabe ist es, Trainings für jede Gruppe vorzubereiten, und zwar gezielt auf die Bedürfnisse der TänzerInnen. Ich hoffe, dass die junge Generation die Liebe zu tanzen nach Corona nicht verliert!
Live Gala „From Berlin with Love“ nochmals am 23. Juni Programm
Nächste Vorstellungen des Staatsballetts
- DIGITALE VORSTELLUNG 25.06.2021 HALF LIFE
- REPERTOIRE 23.06.2021 FROM BERLIN WITH LOVE IV
- WIEDERAUFNAHME 09.09.2021 ONEGIN
- URAUFFÜHRUNG 26.09.2021 DAWSON
Biografie Nadja Saidakova, Ballettmeisterin beim Staatsballett Berlin

AWARDS
2005, 2006, 2010, 2012 – Nominations of Magazine “Tanz“ as Dancer of the Year 2012/2013 – nominated in the magazine „Dance for You“ for „Outstanding Female Performance“ for the interpretation of Brünnhilde in Maurice Béjart’s „Ring um den Ring“ and Tatjana in John Cranko’s „Onegin“2011 Diploma with distiction as choreographer in Moscow, „State Academy of Slavic Culture”
OTHER PARTICULARITIES
2016 – “Premio Re Manfredi” in Italy (dancer of the year)
OTHERS
2014, 2016 Guest teacher in the international ballet class in Prague, with Gert Weigelt a production of a cinematic triptych „Opfer“, „Peanuts“, „Spelling ballerina“ on behalf of ZDF
Boris Kniaseff Floor Barre with Nadja Saidakova

FOR Professionals and Advanced students! “Floor Barre” is a unique technique that has been successfully used by ballet professionals, students, and beginners all over the world since the beginning of the 20th century.
THIS LESSON was recorded for professional dancers in Germany during isolation. Now you also have a unique opportunity to practice using the same methodology by which the best dancers in Germany prepare themselves.
Boris Knyazev is the author of the FB method, revolutionary in the field of choreography, its essence is that all the training exercises that consisted of a classical dance lesson were carried out lying or sitting on the floor. Boris Knyazev’s parterre gymnastics was aimed at developing the elasticity of the ligaments, strengthening the muscles of the lower extremities, beautiful posture, stability, and good coordination of movements.
“Floor Barre” can be used as a light warm-up before the main ballet lesson, as well as a separate “lesson on the floor” for intensive training and strengthening the back muscles, building good posture, and stretching.
More info about Nadja’s classes
https://worldballetclass.com/product-category/nadja-saidakova/
Nadja Saidakova – Great ballet dancer and Ballet Master. Born in Russia. Studied at State Ballet Academy in Perm (Russia). After her training at State Ballet Academy in Perm she started her dancing career at the Moscow Classical Ballet.
Nadja Saidakova works as a guest teacher with „Internationals Ballet Masterclass“ in Prague, San Francisco Ballet School, „Wise Ballet Company“ in Seoul/Suwon, Ostrava Ballet Company, Brno Ballet School, Taiwan Ballet Company, Hessische Staatsballett.
Since 2017 ballet Mistress Staatsballett Berlin.
Jury member of many international Ballet Competition and Festivals.
Mrs. Nadja Saidakova has been studying and using the Boris Kniaseff Floor Barre since 1994 and has been teaching it to professional ballet dancers and students in different countries.
Beitragsfoto © Enrico Nawrath