Wir versuchen zu begreifen, was uns ergreift.

Buchrezension: Ursula Pellaton – Tanz verstehen

In Form von videogestützten Interviews berichtet die Tanzkritikerin und Balletthistorikerin Ursula Pellaton über ihre Berufserfahrungen sowie über die Entwicklung des Tanzes im 20. Jahrhundert in der Schweiz. Die Tanzwissenschaftlerin und Spezialistin für Oral History Julia Wehren fasste die persönlichen Erzählungen und Erinnerungen der Zeitzeugin in vier Kapiteln zusammen. Dieses Buch beschreibt einzigartig, den Schweizer Weg zwischen Tradition und Vielfalt in der Tanzgeschichte.

Ursula Pellaton im Gespräch mit Julia Wehren

Ursula Pellaton, geboren 1946, war von Jugend an vom klassischen Ballett begeistert. Mit 17 Jahren hatte sie das Glück dabei zu sein, als in den 60er Jahren das Ballett in der Schweiz unter dem Ballettdirektor Nicholas Beriozoff (1964 – 1971) an Bedeutung gewann. In dieser Zeit sieht sie auch die grossen amerikanischen Kompanien wie das New York City Ballet und die Martha Graham Dance Company in ihrer Heimatstadt Zürich. Ihre Leidenschaft zum Tanz ist geweckt. Sie beginnt, die Tanzgeschichte in der Schweiz zu erforschen, sucht nach Quellen, analysiert und interpretiert. Sie wird zu einer gefragten Tanzspezialistin mit ausgeprägtem historischen Gespür und fundierten Kenntnissen. Faszinierend findet sie die Art der Wahrnehmung von Tanz, die grossen Theorien interessieren sie nicht. Ihr Credo: „Wir versuchen zu begreifen, was uns ergreift.“ All dies wird in diesem Buch in wunderbarer Weise dokumentiert.

Nach einem Schwanensee-Gastspiel in der Spielzeit 1966/67: von links Nestor Mondino, Nicholas Beriozoff, Doris Catana, Margot Fonteyn, Rudolf Nurejev, Mirja Termavaa, Tatsuo Sakai © Herta Ramme – Buch Seite 91

Tanz in der Schweiz
Eindrücklich wird geschildert, wie bereits Anfang des 20. Jahrhunderts die Schweizer Tanzgeschichte mit dem Ausdruckstanz beginnt und eigentlich eine Migrationsgeschichte ist. Die Ballet Russes begeisterte das Publikum am Genfersee, die Künstlerkolonie Monte Verità wurde gegründet und in Zürich entstand der Dadaismus. Rudolf von Laban eröffnete seine Schule für Bewegungskunst 1915 in Zürich. Schon 1904 tanzte die amerikanische Tänzerin Isadora Duncan in Zürich, 1917 stellte die deutsche Wegbereiterin Mary Wigman den rhythmisch- expressiven Ausdruckstanz in der Schweiz vor. Zahlreiche visionäre Persönlichkeiten wie Delcroze, Katja Wulff, Suzanne Perrottet, Kurt Jooss und Sigurd Leeder verbreiteten den modernen Tanz als eigenständige Kunstform. Noch heute ist der Drang nach Eigenständigkeit und Individualität in der Schweizer zeitgenössischen Tanzszene zu sehen.

Kurt Jooss (links) und Sigurd Leeder tanzen in der freien Natur bei Ascona, fotografiert 1925 – Buch Seite 188, © anonym, Stiftung SAPA

Video: Faszination Ballett aus der Sicht der Tanzkritik – Gespräch mit Ursula Pellaton und Julia Wehren

„Tanz ist in den letzten Jahren anspruchsvoller geworden – in jeder Beziehung“

© Susanne Hofer, Stiftung SAPA, Ursula Pellaton im Gespräch mit Marianne Mühlemann, Opernhaus Zürich 7.7.2019 – Buch Seite 66/67

InformatioNEN des Verlags

Das Ballett erfährt im Moment eine große Popularität, sowohl bei Jung wie Alt. Warum das so ist, erfahren Sie im Video-Gespräch von der Tanzkritikerin und Historikerin Ursula Pellaton und der ehemaligen Tänzerin und Tanzwissenschaftlerin Julia Wehren. Es geht zudem um die erstaunliche Geschichte des Balletts, Identität und Körper sowie die Frage: Welchen Sinn und welchen Einfluss hat die Tanzkritik?

Leseprobe

Ursula Pellaton

Oper, Ballett und Tanz sind seit einigen Jahren bei allen Altersgruppen wieder sehr beliebt und ihre Aufführungen meist ausverkauft. Ursula Pellaton (*1946) ist seit ihrer Jugend passionierte Besucherin von Oper- und Tanzveranstaltungen und fast ebenso lange begleitet sie das Geschehen als Journalistin und Historikerin. Sie beobachtete und schrieb für die Tageszeitungen »Landbote«, »Zürichsee Zeitung«, »Neue Zürcher Zeitung«, für Fachzeitschriften in der Schweiz und Deutschland. Ihr fast schon lexikalisches Wissen über diese Kunstformen ist außergewöhnlich.

Begonnen hat Pellatons Begeisterung 1963 mit einer Aufführung von »Giselle« in Zürich. An der Universität studierte sie im Nebenfach Russistik und reiste für Recherchen zum russischen Ballett viele Male nach St. Petersburg. »Giselle«, »Der Nussknacker« und »Schwanensee«, die so grundlegend das Tanzverständnis vieler Menschen bis heute prägten, hat sie unzählige Male in verschiedenen Aufführungen gesehen und stets fundiert und mit spürbarer Begeisterung rezensiert.

Ein weiterer Fokus von Pellaton liegt in der Tanzgeschichte der Schweiz. Sie ist Mitbegründerin der »Archives suisses de la danse« und von »Mediathek tanz.ch«. Neben ihren Aktivitäten bei Festivals und in Verbänden konzipierte sie auch eine Ausstellung über den Ausdruckstänzer Sigurd Leeder, der eine ganze Generation Schweizer Tanzschaffender prägte.

In »Tanz verstehen« erzählt Ursula Pellaton aus einem persönlichen Blickwinkel über ihr vielfältiges Engagement für den Tanz. Die Geschichten sind eng verknüpft mit ihrer privaten Lebensgeschichte als Ehefrau und Mitarbeiterin eines Landarztes, zunächst in Südafrika, später in Zürich.

SAPAlogo Neutral Kopie

Herausgeber des Buches ist die Stiftung SAPA, Schweizer Archiv der Darstellenden Künste. Die Stiftung SAPA sammelt Dokumente und Objekte zu den Darstellenden Künsten in der Schweiz und stellt diese allen Interessierten zur Nutzung zur Verfügung. Ihre Bestände und Sammlungen sind in Bern, Lausanne und Zürich zu finden; sie umfassen die Bereiche Archiv, Dokumentation und Mediathek. Den Schwerpunkt der Sammlung bilden Helvetica zu Tanz und Theater.

Vielen Dank an den rüffer & rub Sachbuchverlag für das Rezensionsexemplar.

Autor: ballettlovers

I danced ballet as child, albeit with little success. Despite this, my passion for ballet and dance has carried into adulthood. I still love to watch ballet performances and would love to share my passion with you.

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