Gastbeitrag von Judith Hunger
Eine überwältigende Premiere des neuen Leiters der Tanzkompanie Theater St. Gallen ging am Samstag über die Bühne. Es war ein Meer, nein ein Ozean, poetischer Bilder, welche das Publikum in DEN Bann zog.
Der kreative Kopf dieser Produktion ist der Kanada-Schweizer Kinsun Chan – geboren, aufgewachsen und ausgebildet in Kanada und in den USA. Schon zu Studienzeiten blickte er weit über die eigene Disziplin hinaus. So war es ihm erlaubt, neben dem sehr anspruchsvollen Studium in klassischem Tanz, Vorlesungen in Architektur, Design, Kunst und sogar Quantenphysik zu besuchen. Es seien sehr volle Tage und Wochen gewesen, erzählte er an der Einführungs-Matinée. Das hat seiner Karriere als Tänzer allerdings keinen Abbruch getan: er war unter anderem Ensemblemitglied beim Zürcher Ballett unter Heinz Spoerli und des Balletts Basel unter Richard Wherlock.
Coal, Ashes and Light – der Titel seiner dreiteiligen Tanzproduktion – steht auch für die Farben (oder Nicht-Farben) schwarz, grau und weiss. Entsprechend gibt es jeweils drei Bühnenbilder, Kostümvarianten, Lichtdesign (grandios gestaltet von Christian Kaas) und Musikteile mit unterschiedlichen Interpretierenden. Die räumliche Anordnung der Musikerinnen und Musiker ändert gemäss der dominanten Farbe: Bei ‘Coal’ musizieren sie im Orchestergraben, bei ‘Ashes’ auf der Bühne und in ‘Light’ auf einem Podest. Die Tänzerinnen und Tänzer bewegen sich virtuos, setzen das Schrittmaterial gekonnt um und sind mit viel Feuer dabei.
Coal

Schwarz steht im westlichen Kulturkreis oft für Tod, Revolte und das Böse – entsprechend düster präsentiert sich die Bühne. Die MusikerInnen – das wunderbare Streichquartett Galatea aus Zürich – agieren dem Thema gemäss ‘unterirdisch’, also dort, wo die Erde brodelt und Kohle zu finden ist.

Das Schrittmaterial zur Musik von Henryk Gòrecki reicht von einer Art Pavane, dem Schreittanz aus elisabethanischen Zeiten, über stark akzentuierte Gruppentänze, die rebellisch-kriegerisch anmuten bis hin zu grotesk zusammengestellten Pas de deux, in denen sich die Paare ineinander verkeilen und wieder auflösen.

Ashes

Die zeitlose Farbe Grau wird in diesem Stück nicht nur in Verbindung mit Asche, sondern auch mit Elementen wie Stahl, Beton und Stein gebracht. In der Fortsetzung an «Coal» erscheinen die Tänzerinnen und Tänzer aus der Tiefe an die Oberfläche. Wie Granitsteine liegen sie da. Fritz Hauser, er gehört zu den renommiertesten Perkussionisten der Schweiz, spielt bravourös «auf der Klaviatur» des Nicophone. Erst leise und sanft steigert sich die Musik bis zu einem nicht mehr nachlassenden intensiven Klangbogen. Der Bühnenboden ist bedeckt mit grossen Ascheflocken, die während der Tanzsequenzen aufgewühlt gleichermassen eigene Bilder erzeugen. Mit überlangen grauen Stangen entwickeln die Tänzerinnen und Tänzer kanonische Bilder. Das Ganze kulminiert mit einem waghalsigen Balance- und Kraftakt, als sich Pamela Campos auf einer der besagten Stangen von zwei Tänzerkollegen schwebend durch die Luft tragen lässt. Eine Flut von Eindrücken. Das Publikum ist spätestens ab dann komplett in den Bann gezogen.

Light

Weiss als Symbol für das Reine, Leichte und Saubere. Die Musikerin Tiffany Butt, die sanft und wundervoll zwischen Bach und Keith Jarrett virtuos spielt, sitzt erhoben auf einem Hochzeitstorten-ähnlichem Podest an ihrem weissen Flügel. Die Bühne bewegt sich im Kreis – damit wechselt das Bild zwischen einer weissen halbrunden Fläche und den Blick auf das gesamte Bühnenbild. Traumgleich und sanft ist die Choreographie der Gruppentänze, Solis, Pas de deux und Pas de trois gestaltet. Ein atemberaubender Abend!

Der Applaus am Schluss war frenetisch und wohlverdient. Die Bravorufe wollten kaum aufhören! Kinsun Chan stand offensichtlich gerührt und etwas fassungslos vor dem Publikum – Bravo!
Weitere Vorstellungsdaten hier:
https://www.theatersg.ch/de/programm/coal-ashes-and-light/1450
Link zur Bldergalerie des Stadtheater St. Gallen:
https://www.theatersg.ch/de/presse/coal-ashes-and-light/162
Fotos © Gregory Batardon