Erstaufführung am 12. Oktober 2019 im Opernhaus Zürich- Das Mädchen mit den Schwefelhölzern
„Try to like it!“ Diese humorvolle Empfehlung gab der Komponist Helmut Lachenmann dem Publikum bei der Einführungsmatinee im September. Als ich das erste Mal die Musik hörte, war ich zugegebenermassen skeptisch, ob diese Geräuschmusik überhaupt balletttauglich ist. Christian Spuck ist der allererste Choreograf, der sich an dieses avantgardistische Musiktheater wagt.
Lachenmann hat DAS MÄDCHEN MIT DEN SCHWEFELHÖLZERN 1997 als zeitgenössische Oper komponiert und mit Erfolg aufgeführt. Die Musik besteht aus einzelnen Geräuschen, Wischbewegungen, ungewohnten Klängen, Textfragmenten und vielem mehr – sie kommt auch nicht nur aus dem Orchestergraben, sondern auch aus dem Zuschauerraum und verwandelt das Opernhaus in ein alle Sinne aktivierendes Raumklangtheater UND sie geht wirklich unter die Haut.
Musikprobe im Opernhaus Zürich
Dirigent Matthias Hermann über die Arbeit an Helmut Lachenmanns «Das Mädchen mit den Schwefelhölzern» mit der Philharmonia Zürich.
Das traurige Märchen von Hans Christian Andersen über das bitterarme Mädchen, dem niemand Streichhölzer abkauft und dass dann auf der Strasse erfriert, lässt niemanden kalt. Das Stück ist in 24 Bilder mit Titeln wie „Frier-Arie“, „Schneeflocken“, „Ritsch“,“Hauswand“, „Grossmutter“, aufgeteilt. Die Sopranistinnen Alina Adamski und Yuko Kakuta sitzen auf der Bühne, werden aber immer wieder umgesetzt, um dem Tanz Platz zu machen.

Christian Spuck, Choreograf des Stücks und Ballettdirektor des Balletts Zürich, setzt seine gesamte Compagnie ein und erzählt in Fragmenten diese tragische, aber auch gesellschaftskritische Geschichte. Er schafft wunderbare Tanzsequenzen, unvergessliche Bilder und lässt die Zuschauer in der klirrenden Kälte buchstäblich mitleiden.

Unvorstellbar ist, wie diese Choreografie einstudiert werden konnte. Das Musikstück wurde in 1466 Taktzahlen unterteilt, die den TänzerInnen Orientierung bieten, wann ihr Auftritt beginnt. Innerhalb von 8 Probenwochen erlernte das Ensemble alle Bewegungen auswendig – bei dieser komplizierten Partitur eine äusserst herausfordernde Aufgabe. Ganz grosses Kompliment an das Ballett Zürich!
Auch mit diesem Ballett erweist sich Christian Spuck als Neuerer, der das Ballett technisch und vor allem künstlerisch mit jeder neuen Choreografie weiterentwickelt. Nahtlos schliesst das MÄDCHEN MIT DEN SCHWEFELHÖLZERN an seine überall gefeierten und preisgekrönten Choreografien wie MESSA DA REQUIEM, WINTERREISE und NUSSKNACKER UND MAUSEKÖNIG an. Das Premierenpublikum applaudierte gewaltig.
Ein Must für alle Ballettliebhaber, die Neues schätzen!







Weitere Vorstellungen noch bis 14. November 2019
Mehr Infos auf der Website des Ballet Zürich (opernhaus.ch)
Musik mit Bildern von Helmut Lachenmann (*1935)
Schweizerische ErstaufführungChoreografie und Inszenierung Christian Spuck
Musik Helmut Lachenmann
Musikalische Leitung Matthias Hermann
Bühnenbild Rufus Didwiszus
Kostüme Emma Ryott
Lichtgestaltung Martin Gebhardt
Video-Design Tieni Burkhalter
Choreinstudierung Raphael Immoos
Dramaturgie Claus Spahn, Michael Küster
Besetzung nach Datum
18. Oktober ’19, 19:00 Sprecher Helmut Lachenmann
Sopran 1 Alina Adamski
Sopran 2 Yuko Kakuta
Erstes Klavier Yukiko Sugawara
Zweites Klavier Tomoko Hemmi
Shō Mayumi Miyata
Ballett ZürichJunior BallettPhilharmonia ZürichBasler Madrigalisten
Dauer 1 Std. 55 Min. Ohne Pause. Werkeinführung jeweils 45 Min. vor Vorstellungsbeginn.
Kurzgefasst (Quelle Opernhaus.ch)
Das Mädchen mit den Schwefelhölzern
Das Mädchen mit den Schwefelhölzern von Helmut Lachenmann gehört zu den bedeutendsten Musiktheaterwerken, die in den vergangenen fünfzig Jahren geschrieben wurden und ist ein leuchtendes Beispiel dafür, dass Gegenwartsmusik trotz avanciertester kompositorischer Ansprüche ihren Weg zum Publikum findet. Lachenmanns Komponierstil verschränkt Klang und Geräusch, Wisch- und Klopfbewegungen, Anblas- und Schab-Aktionen, folgt einer radikalen Struktur- und Materialbefragung – und dennoch fügt sich seine Partitur zu einem überwältigenden, alle Sinne betörenden Musiktheater. Das hat dem Werk Kultstatus eingebracht und seit der Uraufführung im Jahr 1997 viele begeistert aufgenommene Aufführungen. «Musik mit Bildern» hat der deutsche Komponist sein einziges Musiktheaterwerk im Untertitel genannt. Das Stück erzählt Hans Christian Andersens todtrauriges Märchen von einem Mädchen, das an einem eisigen Silvesterabend barfuss an einer Hauswand im Schnee erfriert, weil niemand ihm ein Bündel Streichhölzer abkauft. Aufbegehrend gegen die Kälte und die Mitleidlosigkeit der Welt zündet es die Streichhölzer an und imaginiert im «Ritsch» der aufflammenden Hölzchen für einen kurzen Moment die Wonnen des bürgerlichen Wohlstands und schliesslich die tote Grossmutter, die das Kind mit in den Himmel nimmt. Für Lachenmann ist Andersens Märchen hochpolitisch: Seine Musik offenbart geradezu physisch wahrnehmbare Zustandsbeschreibungen eines einsamen, von der ganzen Welt im Stich gelassenen Menschen und fasst zugleich die Eiseskälte einer modernen Gesellschaft in Töne, die solche Verlassenheit hervorbringt. In unserer Neuproduktion von Lachenmanns Mädchen, die zugleich die Schweizer Erstaufführung ist, widmet sich Ballettdirektor Christian Spuck diesem alle Rahmen und Wahrnehmungsmuster sprengenden Werk und bringt es zum ersten Mal überhaupt als Ballett auf die Bühne. Spuck erweitert damit sein choreografisches Schaffen um eine wagemutige, alle Kräfte des Hauses herausfordernde Facette – Tanz, Bilder, Gesang und Lachenmanns faszinierend gestisch theatrale Musik, die auch den Zuschauerraum des Opernhauses zum Klangraum macht, verbinden sich zu einem Kunstabenteuer der ganz besonderen Art.
Weitere Kritiken
https://www.tagesanzeiger.ch/kultur/klassik/mit-hoerenden-augen-und-sehenden-ohren/story/18451595
Review in Englisch by Sarah Batschelet
https://bachtrack.com/review-little-match-girl-lachenmann-spuck-ballet-zurich-october-2019