Knackt das Ballett Zürich den Nussknacker?

Interview mit Christian Spuck über das neue Ballett NUSSKNACKER UND MAUSEKÖNIG am Opernhaus Zürich

Der NUSSKNACKER ist DAS weltberühmteste Weihnachtsballett. Warum braucht es eine Neuinszenierung?

Meine Neuinszenierung basiert auf der Original-Nouvelle von E.T.A. Hoffmann. Mich faszinierte die Idee, die Geschichte der Prinzessin Pirlipat wieder in das Ballett zu integrieren. Da lassen sich dann all die schrägen Theaterregister mit viel Ironie und Humor ziehen.

Nach Schwanensee war es mein Wunsch, das zweite grosse Petipa-Ballett ins Repertoire des Balletts Zürich aufzunehmen – aber nicht in der zuckersüssen weltbekannten Version. Die ist ja stark verkürzt und konzentriert sich darauf, virtuoses Ballett zeigen zu können. Die eigentliche Geschichte bleibt unklar. Viele Zuschauer haben sich schon immer gefragt, was die Charaktere Prinz, Marie, Nussknacker, Mausekönig und Drosselmeier miteinander zu tun haben. So werden insbesondere im 2. Akt die wunderschönen Nationaltänze im Zuckerland aneinander gereiht, haben aber eigentlich keine Handlung. Wir wollen die Ursprungsgeschichte mit tollen, anspruchsvollem Tanz erzählen.

Stimmt. Warum bekriegt eigentlich der Mäusekönig den Nussknacker?

Der Mausekönig will den Tod seiner Mutter rächen. Der Prinz tötete eher aus Versehen Frau Mauserinks, als er die Prinzessin Pirlipat retten wollte. Die Geschichte ist schon sehr kompliziert, aber als Ballett kann ich die Handlung visuell wunderbar darstellen und dann wird der Zuschauer die Handlung gut verstehen.

Mehr möchte ich hier noch nicht verraten…………ballettloversblog

Wie machst Du diese komplizierte Geschichte verständlicher?

Wir haben einige Tricks angewendet, um die unterschiedlichen Welten der Geschichte darzustellen. Durch das Bühnenbild schaffen wir eine Bühne auf der Bühne: eine richtige Wunderkammer, in der die Welt der Familie Stahlbaum im 19. Jahrhundert, die barocke reale Pirlipat-Welt und die bunte Fantasiewelt des Zuckerlands inszeniert wird.

Der etwas langatmige Weihnachtsabend im 1. Akt wird von 45 Minuten auf 10 Minuten gekürzt, und dann beginnt der spannende neue Teil über die Prinzessin Pirlipat. Von den Tänzerinnen und Tänzer des Balletts Zürich fordere ich grosses darstellerisches Talent, um die Handlung präzise zu erzählen.

nussknackerD1A8974_web_(c)_GregoryBatardon.jpgFoto Gregory Batardon


Was passiert mit der wunderschönen Nussknacker-Musik?

Die Musik von Tschaikowski bleibt natürlich, aber ich musste sie umstellen, da Musik für die Prinzessin Pirlipat-Welt nicht vorgesehen war. Ich habe hauptsächlich die Nationaltänze im 2. Akt genommen, um das barocke Märchen zu erzählen.

Wird das den Zuschauer nicht verwirren?

Wir haben die Musik nicht beliebig umgestellt, sondern die Reihenfolge dramaturgisch begründet vorgenommen.

Die Zuschauer, die den klassischen Nussknacker kennen, werden zunächst irritiert sein und sich fragen, warum jetzt diese Musik gespielt wird. Ich hoffe, dass die andere Reihenfolge, dem Zuschauer ein neues Hörerlebnis verschafft und der Nussknacker anders wahrgenommen werden kann, weil es einfach grossartige Musik ist.

Ich weiss, dass Zuschauer eine grosse emotionale Intelligenz haben und hoffe, dass sie den Nussknacker neu und anders erleben werden.

Ironie ist Dir ganz wichtig wie wir schon in „Leonce und Lena“ gesehen haben. Wieso so viel Ironie?

Ironie ist mir sehr wichtig – Ironie, die den Zuschauer schmunzeln lässt. Da die Geschichte in den verschiedenen Welten „Realität“ und „Imagination“ spielt, darf sie nicht zu ernst genommen werden. Ohne ein bisschen Zweideutigkeit verliert das Ganze an Charme.

Allerdings darf durch die Ironie keine Entzauberung stattfinden. Ich möchte nicht auf die Magie des herkömmlichen Nussknackers und die Weihnachtsathmosphäre verzichten.

Woher nimmst Du den Mut, einen Klassiker so anders zu erzählen?

Wir wagen ein grosses Experiment. Wenn ich aber nur Stücke mache, wo ich genau weiss, dass alles funktioniert, brauche ich meinen Beruf nicht mehr ausüben. Mich reizt es, Projekte anders zu machen und Neues zu entdecken.

Der grösste Feind der Kunst ist die Routine. Wenn man Kunst macht und keine schlaflosen Nächte hat, wird das Ganze zu Kunsthandwerk, was auch was Tolles ist, aber nicht auf die Bühne gehört.

Choreografische Uraufführung:  14. Oktober 2017 am Opernhaus Zürich

Weitere Infos, Besetzungen und Termine

https://www.opernhaus.ch/spielplan/kalendarium/nussknacker-und-mausekoenig/

Christian Spuck, Ballettdirektor Ballett Zürich

ChristianSpuck_DSC8418 2 1_Jos Schmid.jpg

Christian Spuck stammt aus Marburg und wurde an der John Cranko Schule in Stuttgart ausgebildet. Seine tänzerische Laufbahn begann er in Jan Lauwers’ Need­company und Anne Teresa de Keersmaekers Ensemble «Rosas». 1995 wurde er Mitglied des Stuttgarter Balletts und war von 2001 bis 2012 Hauschoreograf der Compagnie. In Stuttgart kreierte er fünfzehn Uraufführungen, darunter die Handlungsballette Lulu. Eine Monstretragödie nach Frank Wedekind, Der Sandmann und Das Fräulein von S. nach E.T.A. Hoffmann.

Darüber hinaus hat Christian Spuck mit zahlreichen namhaften Ballettcompagnien in Europa und den USA gearbeitet. Für das Königliche Ballett Flandern entstand The Return of Ulysses (Gastspiel beim Edinburgh Festival), beim Norwegischen Nationalballett Oslo wurde Woyzeck nach Georg Büchner uraufgeführt. Das Ballett Die Kinder beim Aalto Ballett Theater Essen wurde für den «Prix Benois de la Danse» nominiert, das ebenfalls in Essen uraufgeführte Ballett Leonce und Lena nach Georg Büchner wurde von den Grands Ballets Canadiens de Montreal und vom Stuttgarter Ballett übernommen.

Die Uraufführung von Poppea//Poppea für Gauthier Dance am Theaterhaus Stuttgart wurde 2010 von der Zeitschrift «Dance Europe» zu den zehn erfolgreichsten Tanzproduktionen weltweit gewählt sowie mit dem deutschen Theaterpreis «Der Faust 2011» und dem italienischen «Danza/Danza-Award» ausgezeichnet. Sein Tanzfilm Marcia Haydée als Penelope wurde von ARTE ausgestrahlt. Immer häufiger ist Christian Spuck in jüngster Zeit im Bereich Oper tätig. Auf Glucks Orphée et Euridice an der Staatsoper Stuttgart (2009) folgten Verdis Falstaff am Staatstheater Wiesbaden (2010) und Berlioz’ La Damnation de Faust (2014) an der Deutschen Oper Berlin.

Seit der Saison 2012/13 ist Christian Spuck Direktor des Balletts Zürich. Hier waren bislang seine Choreografien Romeo und Julia, Leonce und Lena, Woyzeck und Der Sandmann zu sehen. Das 2014 in Zürich uraufgeführte Ballett Anna Karenina nach Lew Tolstoi wurde 2016 auch in Oslo und am Moskauer Stanislawski-Theater ins Repertoire übernommen. In dieser Spielzeit haben Verdis Messa da Requiem als Koproduktion von Oper und Ballett Zürich sowie Der fliegende Holländer an der Deutschen Oper Berlin Premiere.

Porträtfoto von Christian Spuck Jos Schmid

Beitragsfoto Gregory Batardon

Autor: ballettlovers

I danced ballet as child, albeit with little success. Despite this, my passion for ballet and dance has carried into adulthood. I still love to watch ballet performances and would love to share my passion with you.

2 Kommentare zu „Knackt das Ballett Zürich den Nussknacker?“

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